Unsere Begeisterung für Laos hielt sich anfänglich etwas in Grenzen: Wir mussten uns daran gewöhnen, mit dem Touristenstrom zu schwimmen - bis anhin folgten wir diesbezüglich höchstens einem Rinnsal. :) Uns ist klar, dass wir auch Touristen sind, doch empfinden wir das respektlose Verhalten manch eines Westlers gegenüber der einheimischen Bevölkerung als schockierend. Aufgrund dessen, dass es in Laos nur wenige Strassen gibt, die sich mit dem Fahrrad befahren lassen, bleibt unser lieb gewonnenes Abenteuer‐Feeling auf der Strecke; im Vergleich zu China bekommt unser Entdeckerdrang schlichtweg zu wenig Nahrung.
Mit der Zeit realisieren wir jedoch die Vorteile einer "Touristenhochburg" und lernen diese zu schätzen: Da Englischkenntnisse in Laos verbreitet sind, nimmt die Sprachbarriere deutlich ab. Jeder Laote, der ein paar Brocken Englisch beherrscht, lechzt förmlich nach Gelegenheiten, diese an Westlern auszuprobieren. Regelmässig werden wir „Opfer" von meist kurzweiligen „Englisch‐Experimenten". Und so führen wir beinahe täglich interessante Gespräche mit Einheimischen bzw. Mönchen und erfahren einiges über deren Lebensweise, Glauben und Kultur; aber auch über die alltäglichen Probleme und Sorgen. Nun lassen sich - trotz happigen Schreibfehlern - auf einmal auch wieder die Restaurant‐Speisekarten entziffern.
Sonntag, 5:58 Uhr. Unser übliches Morgenritual: Anita: "Starten wir auf drei?", Andreas: "Nöö, auf vier!" Und so schwingen wir uns ein letztes Mal auf unsere treuen Stahlrösser, Bläcki und Brauni. Für uns ein unglaublich emotionaler Moment! Zum letzten Mal stehen wir nach einem happigen Aufstieg vor einem knapp 1’500 Meter Downhill. Diesen gehen wir ungewohnt vorsichtig an: Auf der heimtückischen und kurvenreichen Strecke verunglückte erst gerade vor wenigen Tagen ein Bus. Die Bilanz: 20 Tote. Ja, die Unfallstatistik in Laos ist - angesichts der wenigen geteerten Strassen - verheerend. "Viele Laoten können mit einer Strasse (noch) nicht umgehen. Sie sind sich solche nicht gewohnt.", belehrt uns eine deutsche Ethnologie‐Doktorandin, die wir hier in Laos bei ihrer Forschungsarbeit treffen. Dieser Aussage können wir nur beipflichten: Alle paar Meter mahnen die mit Spray auf der Strasse markierten Unfallhergänge zur Vorsicht. Das schockierendste Bild war jedoch das Wrack eines Touristenbusses, welcher frontal in eine Felswand raste. Dem Zustand des Busses - bzw. dem was davon übrig blieb - nach zu urteilen, könnte hier die Todesrate auch im zweistelligen Bereich gelegen haben. Wir beschliessen, in Laos definitiv keine motorisierten Fahrzeuge zu nutzen.
Lange war es ein Traum, dann ein Wunsch, ein Ziel … und nun stehen wir vor den Toren Luang Prabangs. Ein beklemmendes Gefühl ergreift Besitz von uns. Wir wünschen uns diesen Ort ans andere Ende der Welt, einfach um uns noch weitere Monate als Radnomaden durchzukämpfen! Einen kurzen Moment überlegen wir uns, weiterzureisen. Lange brauchen wir nicht darüber zu sinnieren: Mit Anita‘s neuer Arbeitsstelle, Andreas' Ende des unbezahlten Urlaubs und der bald beginnenden Ski(touren)-Saison im wunderschönen Sarganserland, ist der Preis definitiv zu hoch. :)
Unser Radabenteuer mit Luang Prabang zu "besiegeln" war eine ausserordentlich gute Wahl. Mit knapp 50’000 Einwohner handelt es sich um eine überschaubare Stadt, was insbesondere Anita schätzt. Die 32 buddhistischen Klöster und die allgegenwärtige französische Kolonialarchitektur verpassen Luang Prabang eine spezielle Ausstrahlung. Das Label "UNESCO‐Weltkulturerbe" trägt dieses Städtchen denn auch absolut zu Recht. An dieser Stelle senden wir ein ganz herzliches Dankeschön an das SBB‐Reisebüro in Chur, welches uns diese Stadt als Enddestination ans Herz gelegt hat und dafür sorgte, dass unsere Velos in dem kleinen Flugzeug ab Luang Prabang mitgenommen werden.
Wir wurden gewarnt, haben’s ignoriert und jetzt hat es uns voll erwischt: Im Zuge unserer Reisevorbereitungen kontaktierten wir Peter aus Holland, welcher während zweier Jahre durch China radelte. Auf die Frage, wo er die grösste Gefahr sähe, antwortete er: "Es gibt nur etwas, worüber ihr wirklich besorgt sein müsst: Langdistanz‐Radfahren macht süchtig!" :) Wie recht er hat! So stellen wir uns in Luang Prabang einem gnadenlosen, knochenharten Veloentzug. Unser "Luang Prabang Paradise Resort" - nach den vielen „Absteigen" und Zeltnächten während der letzten drei Monate ein wunderbarer Kontrast - gestaltet den Loslöseprozess denn auch etwas erträglicher. Falsche Hoffnungen machen wir uns trotzdem keine: Die Rückfallquote ist riesig. ;)
Wir sitzen auf der Terrasse unseres luxuriösen Bungalows direkt am Fluss Nam Khan. In Händen ein kühler Bananashake (Anita) bzw. ein noch viel kühleres Bierchen (Andreas). Eine gelb‐rote Riesenkugel - auch Sonne genannt - verschwindet langsam am Horizont. Der Himmel färbt sich gelb, dann orange, rot, schwarz. Wieder ist ein Tag vorbei - unser 88. fernab der Heimat. Bald heisst’s Abschied nehmen. Wir schwelgen in Erinnerungen.
Jetzt wo wir unser Ziel erreicht haben, dürfen wir es ja offiziell eingestehen: Der Respekt vor unserer Reise war riesig. So starteten wir vor drei Monaten in Xining als absolute "Greenhorns". Wir gingen an unsere Grenzen - teils darüber hinaus. Rückblickend würden wir jedoch jede Entscheidung genau gleich fällen. Darauf sind wir schon etwas stolz und vor allem unendlich dankbar, dass alles so gut geklappt hat. „Einfach mal Zeit zu haben" und die vielen herzlichen Begegnungen sind es, die unsere Reise zu einem unvergesslichen Abenteuer gemacht haben. Unsere kühnsten Erwartungen wurden übertroffen. Von den "erfahrenen" Eindrücken dieser Reise werden wir noch lange zehren. Ganz herzlichen Dank all jenen, die uns diese Reise ermöglicht haben.